Ein großes Problem haben viele Jobsucher: Sie wissen nur wenig über das Unternehmen, bei dem sie sich gerade bewerben. Es kommt vor, dass Bewerber noch nicht mal wissen, was genau ihr potentieller Arbeitgeber herstellt. „Irgendwas in der Elektrobranche. Was genau kapiere ich nicht, weil die Produkte nicht selbsterklärend sind“, ist laut der Professorin Dr. Anja Iseke eine mögliche Ausgangssituation bei der Jobsuche. Employer Branding (Arbeitgebermarkenbildung) soll Abhilfe schaffen. Mit der 40-jährigen Wissenschaftlerin von der Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo, deren Fachgebiet „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalmanagement“ heißt, spreche ich im Podcast darüber, was genau sich hinter Employer Branding verbirgt, was Unternehmen falsch und richtig machen können und worauf Jobsucher achten sollten.
Lieber ausgewogen als überzogen positiv
Employer Branding ist ein Instrument, das das Informationsdefizit beim Jobsucher reduzieren soll. Eine vorher genau festgelegte Zielgruppe von Bewerbern erhält Informationen darüber, wie es ist, in dem Arbeitgebermarkenbildung betreibenden Unternehmen zu arbeiten. Richtig wichtig ist dabei, authentische und realistische Einblicke in den Arbeitsalltag zu geben. „Studien zeigen, dass eine ausgewogene Darstellung im Endeffekt positiver ist, als eine überzogen positive“, berichtet Anja Iseke. Wenn das Unternehmen es schafft, nicht in den „Wir-sind-die-aller-aller-besten-Modus“ zu verfallen, dann sind die neuen Mitarbeiter mit dem Prozess zufriedener und kündigen mit geringerer Wahrscheinlichkeit kurz nach dem Jobeintritt. Das Unternehmen hat also die Aufgabe, ein realistisches Bild davon zu produzieren, wie es ist, dort zu arbeiten. Die Jobsucher brauchen unter anderem Antworten auf diese Fragen:
- Wie ist es tatsächlich dort zu arbeiten?
- Wie sind die Arbeitszeiten?
- Sind die Kollegen nett? Wie ist das Betriebsklima?
- Welche Vorstellung von Hierarchie hat das Unternehmen?
- Welche Möglichkeiten der Personalentwicklung gibt es tatsächlich?
- Wie ist die Wettbewerbssituation? Gibt es die in zehn Jahren noch?
- …
Psychologischen Arbeitsvertrag nicht brechen
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das für die Unternehmen eine sehr große und vor allen Dingen sehr schwierige Aufgabe ist. 😉 Wie für die Jobsucher übrigens auch. Denn ein Bewerber kommt ja auch nicht zur Tür rein und haut erstmal ganz entspannt raus, was bei ihm alles nicht so toll ist. Das Problem beim Schaulaufen ist der „Psychologische Arbeitsvertrag“, den ich – im Geiste – bei der Einstellung mit abschließe. Darin sind Erwartungen an meinen Arbeitgeber enthalten (und auch umgekehrt), die nicht im eigentlichen, schriftlichen Arbeitsvertrag stehen. Wenn das Unternehmen zum Beispiel in Hochglanz Bewerberbroschüren im Vorfeld Versprechungen macht, die es später nicht einhält, dann wird der psychologische Arbeitsvertrag gebrochen. Unzufriedenheit, eine geringe Bindung an den Arbeitgeber und Fluktuation sind die möglichen Folgen.
Gezielt Bewerber abschrecken
Die nächste und vermutlich ebenfalls schwere Aufgabe für die Unternehmen ist: Konkret festlegen, welche Bewerber angesprochen werden sollen und alle anderen gezielt abschrecken. Das Ziel des Employer Brandings ist nämlich nicht, möglichst viele Bewerbungen zu bekommen! Es geht vielmehr darum, spezifische Zielgruppen zu selektieren. Also schon im Vorfeld zwischen den zum Unternehmen passenden und unpassenden Bewerbern zu unterscheiden. Wir stellen uns vor, dass diese Rechnung zu 100 Prozent aufgeht. Dann nehmen die Jobsucher dem Personaler die Entscheidungsarbeit ab. Die Unpassenden würden nämlich erst gar keine Bewerbung schicken. Alle anderen könnte er guten Gewissens zum Vorstellungsgespräch einladen. Und die, die rein passen, wollen dann auch langfristig im Unternehmen bleiben. Der Fachbegriff dafür ist: Den „Person-Organization Fit“ hinbekommen. Also die Übereinstimmung der individuellen Werte mit den Werten, die die Organisation vertritt.
Laut Anja Iseke muss das Unternehmen dabei auch mal polarisieren, um ins Gespräch zu kommen: „Schlechte Presse ist dann besser als keine Presse.“ Die große Kunst dabei ist, die Balance zwischen negativ und positiv hinzubekommen. Und – wie ich persönlich finde -, das Negative auszuhalten. Erst recht, wenn einige meiner Mitarbeiter vielleicht noch ins gleiche Horn stoßen. Wobei sich ja dann die Frage stellt, ob ich diese Mitarbeiter nicht vielleicht auch abschrecken möchte. Sozusagen im Nachhinein. 😉
Bedeutung von Gehalt wird überschätzt
Die Zielgruppenselektion macht Arbeitgebermarkenbildung auch für große Unternehmen interessant, deren Posteingang vielleicht (noch) vor lauter Bewerbungen überquillt. Gut gemacht reduziert es den Bewerbungsmappenstapel, verkürzt den Auswahlprozess und erspart das Schreiben von unzähligen Absagen. Wobei die Jobsucher es bei den Großen etwas leichter haben, aus eigenem Antrieb ihr Informationsdefizit zu minimieren. Über einen Konzern findet sich eher mal ein Bericht in den Medien. Und bei den vielen Mitarbeitern ist die Chance größer, dass ich jemanden kenne, der da arbeitet oder der mal da gearbeitet hat. In dem Fall bekomme ich Infos aus erster Hand und aus dem Nähkästchen.
Bei kleineren und mittelständischen Unternehmen wird es schwieriger. Da muss ich als Jobsucher eine Entscheidung mit großer Tragweite auf Basis spärlicher Informationen treffen. Dazu kommt, dass viele Kleine unter Umständen gar nicht auf dem Radar der Suchenden sind. Und was ist mit dem Gehalt? Können die so viel zahlen, wie die Großen? Interessanterweise kam bei den Studien heraus, dass die Bedeutung von Gehalt überschätzt wird. Es gibt gleich mehrere andere Punkte, die gerade bei der jüngeren Generation eine wichtigere Rolle spielen:
- Work/Life Balance
Der Job sollte mir erlauben, auch andere Dinge im Leben zu realisieren. - Gutes kollegiales Klima
Und damit positive Beziehungen am Arbeitsplatz. - Keine Hierarchien / Gestaltungsmöglichkeiten / Empowerment
Als Mitarbeiter kann ich mitgestalten und mitentscheiden, anstatt einfach nur auszuführen.
Außerdem wird wichtiger, was genau das Unternehmen macht / herstellt. Es braucht eben auch eine Antwort auf die Sinnfrage: Warum soll ich da arbeiten? Gerade der Generation Y (und älteren Gleichgesinnten) ist wichtig, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Die Vision von Mobilität schlägt das Statussymbol Auto.
Wenn ich als Unternehmer all das biete und dann daraus schließe, dass ein Hungerlohn im Gegenzug in Ordnung ist, bin ich allerdings schwer auf dem Holzweg. 😉
Tipps für Jobsucher von Prof. Dr. Anja Iseke
Welche Tipps hat Prof. Dr. Anja Iseke, die sich mit allen Fragestellungen rund um Menschen in Organisationen beschäftigt, am Ende für uns Jobsucher? Beseitige das Informationsdefizit! Wer hätte das gedacht? 😉 Ein ernst gemeinter und wie auch ich finde wirklich guter Rat, der noch ergänzt wird:
- Holf Dir Infos über verschiedene Wege.
Nicht nur beim Arbeitgeberbewertungsportal Kununu und über Google. - Versuch Kontakt zu (ehemaligen) Mitarbeitern zu bekommen.
Kannst Du von den Erfahrungen profitieren, die andere gemacht haben? - Nutze jede Möglichkeit, Dir ein Bild vom Unternehmen zu machen.
Auch das Vorstellungsgespräch! Das ist nämlich keine Info-Einbahnstraße!
Frag darin doch einfach mal: „Was ist in ihrem Unternehmen schlecht?“
Stellenanzeigen werden laut Prof. Dr. Anja Iseke übrigens immer unwichtiger, weil viele Jobs nicht mehr ausgeschrieben werden. Und weil auch immer mehr Jobsucher andere Wege zum Einstieg nutzen. Für die Unternehmen hat das einen großen Vorteil: „Wenn Leute über Empfehlungen oder Mitarbeiterkontakte anstatt über Stellenanzeigen kommen, dann sind sie mit größerer Wahrscheinlichkeit zufrieden im Job. Mit geringerer Wahrscheinlichkeit werden sie das Unternehmen nach kurzer Zeit wieder verlassen.“ Schöner hätte ich es nicht sagen können. 🙂
Werde jetzt selbst aktiv, anstatt auf die Unternehmen zu warten! Wenn Du Dich bei kleinen und großen Unternehmen vom Informationsdefizit verabschieden und auch noch sicherer und effektiver bei der Jobsuche unterwegs sein willst, dann nimm gerne Kontakt zu mir auf.
Inhaltsübersicht:
- Das Fachgebiet von Prof. Dr. Anja Iseke:
Organizational Behaviour - Employer Branding:
Was ist das? - Ehrliche Infos oder „Werbeblase“?
Worauf es bei der Arbeitgebermarkenbildung ankommt. - Bereit zu investieren:
Erkenntnisgewinn bei den Unternehmen - Ehrlichkeit in der Praxis:
Offen sagen, was nicht so toll ist? - Führungskräfte auf dem Holzweg:
Das schätzen die Mitarbeiter wirklich am Unternehmen. - Unsichtbar und trotzdem sehr wichtig:
Der „Psychologische Arbeitsvertrag“. - Muss ich machen:
Angeben ist auf beiden Seiten Teil des Spiels. - Geld spielt nicht die Hauptrolle:
Auf der Job- und Sinnsuche. - Stehen hoch im Kurs:
Work/Life Balance, positive Beziehungen, Gestaltungsmöglichkeiten. - Dafür ist das Arbeitgeberimage da:
Informationsdefizit beim Jobsucher reduzieren. - Das Problem Nummer 1:
Unwissenheit auf beiden Seiten. - Infos besorgen:
Große vs. kleine Unternehmen - Ausgewogen besser als rein positiv:
Augen auf bei der Selbstdarstellung! - Veränderter Arbeitsmarkt:
Medienpräsenz wird von Unternehmen erwartet. - Nicht dem Zufall überlassen:
Arbeitgeberimage aktiv mitgestalten. - Mitarbeiter aus dem Netzwerk:
Die Stellenanzeige wird immer unwichtiger. - Naiver Versuch:
Frauen mit Familienförderung ansprechen. - Darauf fahren die Frauen ab:
Mit Stereotypen brechen. - Alles, nur nicht Quotenfrau:
Frauen schrecken manchmal Frauen ab. - Vordergründig gemäß Gesetz neutral formuliert:
Geschlechtertrennung im Auswahlprozess - Polarisieren und Bewerber bewusst abschrecken:
Wann schlechte Presse besser ist, als keine Presse. - Tipps für Jobsucher:
Informier Dich nicht nur über Google.
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Wenn Du Fragen an mich oder meine Interviewpartner hast, dann hinterlasse einen Kommentar. Dann nehme ich Deine Fragen mit zum nächsten Interview. Auch Themenvorschläge sind jederzeit willkommen.
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