Bei Spiegel Online erschien gestern ein Artikel darüber, wie viele Stellen über persönliche Kontakte besetzt werden. Hier geht es zum Bericht. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die am gleichen Tag veröffentlicht wurde, soll das bei fast jeder dritten Stelle der Fall sein. Interessant fand ich die Kommentare zum Artikel: Viele scheinen diese Praxis als Angriff auf Chancengleichheit, Benachteiligung von Frauen und sogar als riskant für die Unternehmen zu beurteilen.
In meinen Seminaren und Coachings arbeite ich mit Zahlen von Daniel Porot und der Agentur für Arbeit in Nürnberg. Porot entwickelte für das Life/Work Planning Verfahren (L/WP) die Methode Stellen zu finden, indem Jobsucher sich gezielt in einem von ihnen selbst ausgewählten (Interessens-)Bereich ein Netzwerk an Kontakten aufbauen. Er untersuchte den Arbeitsmarkt und stellte fest: 25 Prozent der Stellen werden über öffentliche Ausschreibungen vergeben. 75 Prozent werden im so genannten „Verdeckten Arbeitsmarkt“ an Menschen vergeben, die dem Einstellenden mit Namen und Gesicht bekannt sind. Die Arbeitsagentur konnte das nicht ganz glauben und hat selbst noch mal nachgeforscht. Das Ergebnis: 33 Prozent finden ihren Arbeitsplatz über öffentliche Ausschreibungen. 67 Prozent werden an Kontakte aus dem Netzwerk vergeben.
Spiegel Online Leser möchte Seilschaften aufdecken
Wenn ich für meine Podcasts Personalentscheider interviewe, stelle ich immer wieder fest: Persönlichkeit schlägt Qualifikation. Denn fehlende Qualifikation kann ich zum Beispiel durch Weiterbildung beheben. Wenn ich jemanden gut kenne, dann kann ich seine Persönlichkeit auch gut einschätzen. Ich weiß, ob er in mein vorhandenes Team passt oder ob ich damit rechnen muss, dass gute Mitarbeiter wegen dem unpassenden Neuen im schlimmsten Fall kündigen würden. Das ist gut für denjenigen, der einstellt. Das ist aber auch gut für denjenigen, der eingestellt wird. Denn der hat ja auch ein Interesse daran, ins Team zu passen und mit seinen neuen Kollegen klar zu kommen. Auf dem klassischen Weg der Jobsuche kann nur der Personalentscheider sich Mühe geben, so gut wie möglich einzuschätzen, ob ein Bewerber ins Unternehmen passen würde. Wer sich vorher gezielt persönliche Kontakte in seinem Interessensbereich und in bestimmten Firmen aufbaut, der weiß auch als Jobsucher, mit wem er im Falle einer Einstelllung zusammenarbeiten würde. Und er kann einschätzen, ob das passt oder eher nicht. Und wenn es passt, kann er dem Entscheider gegenüber gut argumentieren. Interessant finde ich, dass einer der Kommentarschreiber bei Spiegel Online dieses Vorgehen als Seilschaft deutet, die nur Leute hereinlässt, die nichts aufdecken würden und damit ganze Unternehmen an die Wand fahren. So habe ich das ehrlich gesagt noch nie gesehen.
Auf „Vitamin B“ muss niemand verzichten
Das laut dem zweiten Leserkommentar der Begriff „Vitamin B“ einen faden Beigeschmack hat, überrascht mich nicht. Deswegen verwende ich ihn in meinen Coachings auch nur, wenn er von den Teilnehmern angesprochen wird. Vitamin B ist ungerecht und der Tot der Chancengleichheit … wenn man selbst kein Vitamin B hat. 😉 Dabei muss niemand darauf verzichten. Es kostet nur Mühe, sich ein Netzwerk an passender Stelle aufzubauen. Wofür mache ich mir die Mühe? „Am Ende geht es um eine Stelle, mit der ich meine Familie ernähre, mit der ich glücklich sein will, mit der ich mehr Zeit verbringe als in der Freizeit und mit der ich auch einen Großteil meines Lebens bestreite. Das ist keine Kleinigkeit.“, sagt der Geschäftsführer von der Flugzeugwerft Porta Air Service, Laurent Gauthier, in meinem Podcast-Interview. Ist es denn gerecht, wenn jemand der die Mühe des Netzwerk-Aufbaus (aus welchen Gründen auch immer) nicht auf sich genommen hat, die super Stelle im Zuge der Chancengleicheit erhält? Und falls ja: Darf man das dann guten Gewissens „Chancengleichheit“ nennen?
Das Frauen weniger Kontakte haben sollen als Männer hat mich wieder überrascht. Ich habe das nie wissenschaftlich untersucht oder eine Studie dazu gelesen. Mein Eindruck ist, das Frauen im Vergleich zu uns Männern als kommunikativer eingeschätzt werden. Diese Eigenschaft hilft doch dabei, Netzwerke aufzubauen und Kontakte zu knüpfen, oder?
Wie dem auch sei … Im Forum bei Spiegel Online wird heiß diskutiert. Wenn Sie mal reinschauen wollen, dann klicken Sie einfach hier.
Betreff: Bewerbung als Vorstandsvorsitzender
Zum Schluss möchte ich noch mal kurz auf den eigentlichen Artikel über die IAB-Studie bei Spiegel Online zurückkommen. Das persönliche Kontakte vor allem Jobsuchern mit mittlerer oder geringer Qualifikation nutzen, Akademikern dagegen eher weniger, kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Wenn ich der neue Bahnchef werden will oder einen Posten im Vorstand eines weltumspannenden Konzerns bekommen möchte, dann schicke ich doch kein einseitiges Anschreiben mit Lebenslauf. „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bewerbe ich mich um die Stelle als Vorstandsvorsitzender in Ihrem Unternehmen. Ich sehe mich für diese Position als geeignet an, weil … Über eine Einladung zum persönlichen Gespräch würde ich mich freuen.“ 😉 Das Akademiker erstmal in die Jobbörsen im Netz gucken (weil sie das so gelernt haben) geht dagegen ganz problemlos in meinen Kopf. Und dann gibt es selbstverständlich auch mal Treffer.
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