Judith Oldekop mag das Anschreiben. Ich nicht. Wenn das kein verdammt guter Grund für ein Interview ist, dann weiß ich es auch nicht! Ich sage nur: Raus aus der Filterblase! 😉 Die 43-jährige arbeitet bei dem Schweizer Online Marktplatz „Siroop“ und ist dort für alles zuständig, was mit Menschen und Kultur zu tun hat.
Spannenderweise kommen in dieser Jobsucher-Podcast-Episode eine ganze Menge Zahlen auf den Tisch. Du erfährst unter anderem, wie viele Mitarbeiter wie ins Unternehmen gekommen sind und was ein Personalvermittler genommen hätte, wenn er denn beauftragt worden wäre. Und es gibt eine super Idee, Mitarbeitern das Anwerben von neuen Kollegen mal so richtig schmackhaft zu machen. Ganz am Schluss kommen wir dann noch auf eine (für meinen Geschmack) Prüfung für Bewerber zu sprechen, auf die die potentiellen Kandidaten angeblich ganz heiß sein sollen. Im positiven Sinne, wohl gemerkt!
Vorfreude brutal abgelöscht
„Das Anschreiben ist eine persönliche Visitenkarte und eine gute Ergänzung zum Lebenslauf. Es hilft Quereinsteigern“, findet Judith. „Wenn es denn gelesen wird!“, finde ich. Jetzt muss man dazu sagen, dass Judith in diesem Punkt vorbildlich unterwegs ist. Sie guckt sogar dann noch ins Anschreiben, wenn der Lebenslauf (aus welchen Gründen auch immer) einfach grottig war. Und sie hat es auch schon erlebt, dass das Anschreiben den schlechten ersten Eindruck wieder rausgerissen hat. Allerdings gab es auch schon den umgekehrten Fall: Das Anschreiben löschte die nach dem Lesen des Lebenslaufs aufgekommene Vorfreude brutal wieder ab. In dem Fall hätte der Absender es besser weg gelassen. Was bei Siroop übrigens auch völlig in Ordnung gewesen wäre. Das Anschreiben ist mitnichten Pflicht!
Für Judith Oldekop am besten humorvoll
Dass Problem ist ja, dass man nie weiß, auf welchen Schreibstil der Personaler abfährt. Für Siroop kann ich das Geheimnis hier und jetzt lüften: Probier es am besten auf die lockere und humorvolle Art. Wobei das eigentlich kein richtiges Geheimnis ist, denn dass die bei Siroop eher spielerisch unterwegs sind, solltest Dir in der Bewerbungsphase eigentlich auffallen. Einen Hinweis darauf gibt Dir zum Beispiel der Fake-Chatbot, mit dem Bewerber auf der Siroop-Karriereseite kommunizieren. Außerdem ist es eine gute Idee, in Deinen Unterlagen das „Du“ aus dem Außenauftritt des Online Marktplatzes zu übernehmen. Deine Unterlagen werden nämlich einem Kulturcheck unterzogen. Dabei wird geguckt, ob Du verstanden hast, dass die Online Marktplätzler in der Schweiz spielerisch drauf sind. So wie ich gerade. 😉 Und ob Du demzufolge ins Unternehmen passt.
So gesehen kannst Du als konservativer Texter froh sein, wenn Du abgelehnt wirst. Auf Dauer würdest Du ohnehin nicht glücklich. Ich hätte als humorvoller Texter übrigens auch schlechte Karten, weil ich – Spaß bei der Arbeit hin oder her – konzentriert vor mich alleine hin wurschteln muss. Zumindest, wenn ich Texte schreibe. Wenn ich ein Gruppenseminar gebe, natürlich nicht. 😉 Einzelbüros waren für mich schon immer ein absolutes Träumchen. Das kannst Du bei Siroop knicken. Wie sich so etwas im Vorstellungsgespräch herauskristallisiert, darüber sprechen wir im Podcast.
Anschreiben für Kandidaten ohne großes Netzwerk
Das Anschreiben bietet sich laut Judith Oldekop auch für Jobsucher an, die eher introvertiert sind und es vorziehen, sich schriftlich auszudrücken. Und für Kandidaten, die kein großes Netzwerk haben. (Falls es Dir daran mangeln sollte, dann sprich mich gerne an. Da können wir im Coaching Abhilfe schaffen.) Wenn jemand über das Netzwerk kommt, dann braucht er das Anschreiben auch nicht mehr für den Kulturcheck. Der ist dann schon durch die Empfehlung passiert. Deswegen bekommt so jemand einen Vorschuss. Das heißt, dass der Jobsucher in jedem Fall angerufen wird. „Ganz egal, was für einen Lebenslauf der hat. Der scheint interessant zu sein. Sonst hätte unser Mitarbeiter ihn nicht empfohlen“, betont Judith. Sie hat selbst schon davon profitiert, weil sie zwei ehemalige Kolleginnen zu ihrem jetzigen Arbeitgeber geholt hat.
Mitarbeiter angeworben: 1.000 CHF + 1 freier Tag
Siroop setzt auf Mitarbeiterempfehlungen. In der Schweiz ist eine Prämienzahlung von 2.600 bis knapp 4.000 Euro pro angeworbenen Mitarbeiter üblich. Laut Judith macht dieser Betrag auch Sinn, wenn man bedenkt, dass ein Arbeitgeber bei einem Personalvermittler für das gleiche Ergebnis 13.000 bis 18.000 Euro hinblättern müsste. (Stell Dir mal vor, das geht schief!) Trotzdem kann das „Startup“ (die Anführungszeichen erklären sich im Interview) bei diesen Beträgen nicht mitziehen. Deswegen hat man sich bei Siroop was Eigenes überlegt: Bei dem Online Marktplatz gibt es 1.000 Schweizer Franken (knapp 900,- €) und einen Tag frei. In Summe nennt sich dass dann „1.001 Nacht“ und kommt wegen dem freien Tag bei den Mitarbeitern richtig gut an.
Ich persönlich finde in diesem Zusammenhang, dass mich die Dienstleistung von Headhuntern doch stark an die von Immobilienmaklern erinnert. Beim Hauskauf bist Du ja auch gut beraten, wenn Du jemanden persönlich kennst, der die Hütte direkt an Dich verkauft. Notargebühr und Grunderwerbssteuer sind schließlich schon schlimm genug! Da brauche ich nicht zwingend noch was on Top … 😉
Gesunde Grundeinstellung!
Am Ende steht dann – wie ich finde – für alle (?) Kandidaten eine Prüfung auf dem Programm. Judith Oldekop meint, dass ich das nicht Prüfung nennen sollte. Und sie ist sich sicher, dass ich die „Bewerber-Aufgabe“ locker schaffen würde. Trotzdem kriege ich bei dem Gedanken daran ein paar Prüfungs-Schweißperlen auf die Stirn. 😉 Wie dem auch sei: Angeblich freuen sich die „Prüflinge“ sogar darauf. Was genau da auf den Jobsucher zukommt, hängt davon ab, für welche Stelle er sich bewirbt. Wenn Du zum Beispiel in den Vertrieb möchtest, dann musst Du ein Video von Dir machen und schicken. Wenn die IT Dein Ziel ist, machst Du ein „Online Assessment“, wo Du eine andere, zum Job passende Aufgabe bekommst.
Laut Judith gibt es bei IT-Jobs nichts, was besser nach außen transportiert, wie hoch die Messlatte bei Siroop liegt. Und die Bewerber finden es toll, wenn die Messlatte etwas über ihrer eigenen liegt, weil: Die wollen ja was lernen und sich weiterentwickeln. Das nenne ich mal eine gesunde Grundeinstellung! Ich persönlich hätte es ja gut gefunden, den ganzen Lebenslauf- und Zertifikate-Schnickschnack durch diese – ich nenne es jetzt mal Arbeitsprobe – zu ersetzen. Dann kann ich mich nämlich auch mit Fähigkeiten qualifizieren, die ich mir (vielleicht in meiner Freizeit) selbst angeeignet habe. Und für die ich genau deswegen eben kein Zeugnis und auch keine Station im Lebenslauf habe.
Was brauchst Du?
Wenn Du mit Judith Oldekop im Vorstellungsgespräch sitzt, wird sie Dich übrigens nicht nach Deinen Schwächen fragen. Genauso wenig wird sie Dich fragen, was Dich motiviert, bei Siroop arbeiten zu wollen. (Vielleicht hättest Du darauf trotzdem gerne eine Antwort? Und sei es nur für Dich …) Was Judith dagegen unbedingt von Dir wissen will ist: „Was brauchst Du, um bei uns einen guten Job zu machen?“ Denk da mal drüber nach … Dir fällt nichts ein? Denk gründlicher nach! Dir fällt immer noch nichts ein? Ruf mich an! 😉
In diesem Sinne: Viel Erfolg bei Deiner Jobsuche und Karriereplanung und immer heiter weiter!
Inhaltsübersicht:
- People & Culture:
Judith Oldekop stellt sich vor. - Das „Amazon“ der Schweiz:
In zwei Jahren von vier auf 200 Mitarbeiter. - Von der Rekrutierung bis zur Entlassung:
Der Aufgabenbereich von Judith Oldekop. - Sie mag das Anschreiben:
Ist es wirklich gut für Quereinsteiger? - Introvertiert oder ohne Netzwerk:
Dann vielleicht doch lieber per Bewerbung? - Rausreißer oder brutaler Ablöscher:
Die zwei Seiten der „Anschreiben-Medaille“. - Kultur- und Wertecheck für Jobsucher:
So hilft Dir die Siroop Außendarstellung. - Netzwerk oder klassisch?
So hat Siroop bisher rekrutiert. - Neugierige Kandidaten:
Was ist das für eine unbekannte, neue Firma? - Vetternwirtschaft oder nicht?
Siroop setzt auf Mitarbeiterempfehlungen. - 1.001 Nacht:
Prämien müssen nicht immer große Summen sein. - Mit Absicht nicht überall zu finden:
Die klassischen Plattformen im Netz sind für Siroop nicht geeignet. - Willst Du einer davon sein?
5.200 Bewerbungen in 2,5 Jahren Firmengeschichte. - Kandidaten sind nicht wie guter Wein:
In 28 Tagen bis zur Vertragsunterschrift. - Vitamin B im Bewerbungsprozess:
Das bringt es Dir bei Siroop. - Hausaufgaben für Bewerber:
Deine „Prüfung“ nach dem ersten Skype-Gespräch. - Stärkten orientiert und ohne Standardfragen:
Das Vorstellungsgespräch mit Judith Oldekop. - Sie wollen schließlich was lernen:
Jobsucher auf der Suche nach der hohen Messlatte.
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Wenn Du Fragen an mich oder meine Interviewpartner hast, dann hinterlasse einen Kommentar. Auch Themenvorschläge sind jederzeit willkommen.
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